Schüler interviewt Freiheitsredner
Vor einigen Tagen kontaktierte David, 18, ein Schüler, die Freiheitsredner. Er bastelt gerade an seiner Facharbeit, und hätte gerne ein Interview mit jemandem von uns.
Wir haben es via E-Mail geführt.
David: Bitte machen Sie doch (natürlich freiwillige) Angaben zur Person, soweit Sie selbst diese für sinnvoll und notwendig halten.
Benjamin: Mein Name ist Benjamin Erhart, ich bin 30 Jahre alt, Deutscher, arbeite als Software Entwickler in Salzburg und engagiere mich seit über 3 Jahren ehrenamtlich im Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung und als Betreuer der Freiheitsredner.
David: In meinem Arbeitstitel stelle ich die Frage „Deutschland – Auf dem Weg zum gläsernen Bürger?“ Was denken Sie dazu? Befindet sich die BRD auf diesem Weg oder können wir uns sogar schon als gläserne Bürger bezeichnen?
Benjamin: Wenn man es drastisch formulieren möchte, könnte man es schon so sehen. Die meisten von uns tragen ein Gerät mit sich herum, mit dem man jederzeit geortet werden kann. In manchen Gegenden wird man am Tag mehrere Dutzend bis hundert Male gefilmt. Für einen Reisepass wird man erkennungsdienstlich behandelt und biometrisch vermessen. Meine Banktransaktionen sieht das Finanzamt ein. Auf der Autobahn wird mein Kennzeichen erfasst. Ein Bahnticket bekomme ich kaum noch, ohne eine deanonymisierende Banktransaktion durchzuführen. Fliegt man egal wohin, wird man einem amerikanischen Fluggastdatenscreening unterzogen. (Lieber nicht halal Essen bestellen…)
Also ja: Wir waren noch nie so transparent wie heute.
David: Was halten Sie von der allgemein geläufigen Argumentation „Wer nichts zu verbergen hat, braucht ja auch nichts zu befürchten“, und wie entgegnen Sie dieser.
Benjamin: Zu Menschen, die mir so etwas entgegnen sage ich immer: Sie haben doch auch Vorhänge an den Fenstern, was verbergen Sie?
Natürlich habe ich etwas zu verbergen: mein Privatleben. Es ist eines der grundlegendsten Rechte als Staatsbürger, selbst darüber zu entscheiden, wer wieviel über mich erfährt, egal, wie banal es auch sein mag.
Und wir alle leben so: Niemand gibt immer alles über sich preis, und wenn jemand zu viel über uns wissen will, erleben wir das zurecht als ungerechtfertigtes Eindringen in unsere Privatsphäre.
Menschen, die solche Sätze von sich geben, haben entweder nicht genau genug darüber nachgedacht, oder meinen gar nicht sich selber, sondern nur die anderen, die sie gerne überwachen würden.
Daß ich etwas verberge, darf mich nicht verdächtig machen. In langer harter Arbeit haben wir eine Unschuldsvermutung entwickelt, die genauso hier gelten muß, weil alles andere in letzter Konsequenz in das Ende der Rechtstaatlichkeit führt.
David: Beobachten Sie einen Bewusstseinswandel in der Bevölkerung zum Thema Datenschutz? Ist die Bereitschaft, die eigenen Daten preiszugeben weiter gestiegen oder macht sich eine zunehmende Kritik bemerkbar?
Benjamin: Sowohl, als auch. Die Arbeit des AK Vorrat in den letzten Jahren hat, glaube ich, gezeigt, daß es den Leuten sehr wohl nicht gleichgültig ist, was mit Ihren Daten passiert. Man denke nur an die Freiheit-statt-Angst Demo in Berlin 2008 mit über 50.000 Teilnehmern oder die über 30.000 Kläger der sehr erfolgreichen Verfassungsbeschwerde.
Andererseits gibt es einen Trend dazu, gerade bei der jüngeren Bevölkerung, die gerne als die „digital citizens“, also die Netzbewohner, bezeichnet werden, immer mehr freiwillig über sich zu veröffentlichen.
Ich halte das nicht für grundsätzlich schlecht, beobachte aber durchaus mit Sorge, daß es oft genug sehr unreflektiert und naiv geschieht, und daß viele Menschen dabei über den Tisch gezogen werden. Daten sind eine Währung wie Geld, über deren Wert sich viele noch nicht klar sind.
Die Freiheitsredner versuchen, hier Kenntnisse zu vermitteln, damit die Menschen diesen Wert und die Folgen ihres Handelns besser einschätzen können.
Wir stehen noch am Anfang einer Entwicklung. Es wird sicher noch einige Experimente mit personenbezogenen Daten geben (man denke z.B. an die neuesten Trends bei Geolokation, wie Gowalla u.ä. Dienste oder Blippy, bei dem man Kreditkartentransaktionsdaten in ein Social Network einspielt) in denen ausgelotet wird, wie weit man gehen kann und will.
Wer zum Sender wird, muß die Verantwortung, die damit einhergeht, auch tragen können. Vielen Menschen ist das noch nicht voll bewußt.
Andererseits wird sich auch auf der Rezipientenseite etwas ändern: Wenn das Internet nichts mehr vergisst, und ich als Personalchef von einem Bewerber 10 Jahre alte Photos finde, auf denen er sich gerade auf einer Party übergibt, muß ich lernen, das entsprechend einzuordnen, d.h. die zeitliche Komponente besser zu berücksichtigen, was wir heute nur sehr bedingt gewohnt sind.
Es gibt jedenfalls einen positiven Effekt: Wenn wir sehen, daß andere Menschen genauso Fehler machen und manchmal seltsame Dinge tun, hat das einen ganz heilsamen Effekt auf das Selbstbild und wirkt gegen Bigotterie und Verlogenheit.
David: Wie stehen Sie zu der Begründung, dass durch einen Ausbau der Überwachungsmaßnahmen eine höhere Sicherheit erreicht wird, gerade im Hinblick auf die Bekämpfung des sogenannten internationalen Terrorismus?
Benjamin: Ich halte das ganz klar für Augenwischerei. Bei dieser Argumentation handelt es sich um Populismus und Panikmache, die jeglicher realer Grundlage entbehrt. Die Motive, die Leute treiben, die solche Aussagen verbreiten, mögen unterschiedlich sein, haben wohl aber alle eine Grundkomponente: Machterhalt.
In Zeiten, in denen die „Festung Europa“ immer mehr abgeschottet werden muss (Stichwort: FRONTEX), die Wirtschaft immer mehr ins schlingern gerät, weil bei schrumpfender Bevölkerung und schlechterer Bildung der Wachstumskurs nicht aufrechterhalten werden kann, und die Bevölkerung unruhig wird, weil das soziale Ungleichgewicht immer mehr zunimmt, sind der Griff zu Überwachungstechnologien konsequente Logik zur Verteidigung des Status Quo einiger Mächtiger.
Kein ausreichend motivierter Terrorist wird sich jemals von solchen Maßnahmen abhalten lassen. Absolute Sicherheit gibt es nicht, die Lösung kann einzig und allein sein, allen Menschen zu Lebensbedingungen zu verhelfen, in denen sie sich nicht zu solchen Taten gezwungen sehen.
Das ist natürlich der schwierigere Weg im Gegensatz zu platten Populismen verbreiten und soziale Probleme mit technischen Lösungen zu bekämpfen.
David: Aktuelles Beispiel Vorratsdatenspeicherung: Erfolg oder Scheinerfolg? Wie wird sich die Problematik in Zukunft entwickeln, jetzt wo die Vorzüge dieser Technik auf erprobt werden durften?
Benjamin: Die Fahndungs-„Erfolge“ aufgrund der VDS mussten ja an den Haaren herbeigezogen werden. Insofern sind die Vorzüge überhaupt nicht da. Nichtsdestotrotz gerieren sich natürlich einige Politiker und höhere Polizeibeamte so, als wenn wir vor der VDS Wildwest gehabt hätten. Das Gegenteil ist natürlich der Fall: Reale Verbrechen können auch in der realen Welt ermittelt werden, wie man das schon immer gemacht hat. Dazu muß nicht jeder Einzelne rund um die Uhr überwacht werden.
Ich sehe das so: Die VDS ist erst mal vom Tisch, insofern ist es ein großer Erfolg. Was in Zukunft sein wird, kann niemand sagen, ich auch nicht.
Wünschen und hoffen werde ich, daß wir in 20 Jahren zurückblicken können und den Fall der VDS als eine Trendwende bezeichnen können.
Dazu muß zuallererst einmal verhindert werden, daß sie in Deutschland wieder eingeführt wird, wofür die Zeichen momentan gut stehen: Unsere Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger tritt ja momentan, sehr zurecht, heftig auf die Bremse.
Des weiteren muß die VDS auf europäischer Ebene zu Fall gebracht werden. Auch hier steht es momentan nicht schlecht: EU Kommissions-Vizepräsidentin Viviane Reding hat eine Überprüfung angekündigt und mit der neuen Macht, die das Europäische Parlament eindrucksvoll mit der Verwerfung des SWIFT Abkommens demonstriert hat, gibt es weitere Verstärkung.
Zusätzlicher Druck kommt von Schweden, die sich standhaft weigern, VDS Gesetze einzuführen und Bulgarien und Rumänien, deren Verfassungsgerichte eine Umsetzung ebenfalls verworfen haben. Österreich hat auch noch nicht eingeführt und würde eine Abschaffung sicher ebenso begrüßen.
Insofern stehen die Sterne nicht so schlecht!
David: Was halten sie von Google’s neuem Projekt „StreetView“?
Benjamin: Ganz ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Einerseits bin ich auch nicht scharf darauf, mein Haus und zufällige Aufnahmen von mir und meinem Auto dort wiederzufinden, andererseits hat schon immer jeder das Recht, Aufnahmen davon zu machen.
Daß es mehrere Unternehmen gibt, die das schon lange gemacht haben, und dazu diese mit zusätzlichen sensiblen Daten zum Kredit-Scoring angereichert haben, ist den wenigsten Leuten bekannt. Da ist mir Google eigentlich lieber – das kann ich auch selber nutzen.
Noch lieber als Google wäre mir allerdings, wenn sowas aus öffentlicher Hand kommen würde.
David: So, das war es erstmal an offiziellen Fragen, wenn mir noch weitere wichtige einfallen, werde ich mich melden. Schon mal vielen Dank im Voraus für die Mühen!
Benjamin: Gern geschehen! Vielen Dank für das Interview!